Dimensionierung

Bei der Dimensionierung von Drachenleinen gibt es viele Ansätze und  Meinungen, die jedoch häufig nur zum Teil zutreffen. Entscheidend sind letztlich zwei grundlegende Faktoren:

1. Wieviel Zug kann der Kite bei den bestehenden Bedingungen erzeugen?
2. Wieviel Gegenzug kann der Pilot dem entgegensetzen?

Kann der Pilot mehr halten als der Kite ziehen kann, dann reicht eine Leine, die der Zugkraft des Drachens entspricht. Zieht der Kite mehr als der Pilot halten kann, dann genügt eine Leine, die der Haltekraft des Piloten entspricht.

Für die Beantwortung dieser beiden Fragen muß man sich jedoch ein wenig mit den Rahmenbedingunen auseinandersetzen:

Pilotengewicht:
Ein Pilot erzeugt mit seinem Gewicht eine bestimmte Haftreibung auf dem Boden. Dieser Haftreibung wirkt die Kraft des Drachens entgegen. Übersteigt die vom Drachen aufgebrachte Zugkraft eben diese Haftreibung des Piloten auf dem Untergrund, so beginnt der Pilot zu rutschen. Dabei beziehungsweise danach findet kein weiterer Anstieg der Zugkraft und somit der Leinenbelastung mehr statt. (Ein weiterer Anstieg der Zugkraft durch den Drachen wird dadurch verhindert, daß der Pilot ja dem Drachen in seiner Zugrichtung hinterhergezogen wird – die theoretische Kraftzunahme wird also in Bewegungsenergie umgesetzt.) Die im Rutschen des Piloten entstehende Gleitreibung ist sogar wieder kleiner als die vorherig aufgetretene Haftreibung.

Betrachtet man alleine diese Physikalischen Grundlagen, so sind in der Regel Leinenstärken von 90 bis 140 daN (abhängig vom Pilotengewicht und auch geringfügig von Schuhwerk sowie dem Untergrund) für fast alle Piloten ausreichend.

Flugstil:
Nach einigen Beobachtungen und Erfahrungen kann auch der persönliche Flugstil des Piloten Einfluß auf die benötigte Leinenstärke nehmen. Besonders kräftige Piloten können bei einem entsprechend ruppigen beziehungsweise abruptem Flugstil (plötzliche, radikale und kraftbetonte Flugmanöver – vorzugsweise mit Lenkbefehlen durch anziehen der Leine) erhöhte Spitzenbelastungen auf die Flugleinen bringen. In einem solchen Fall des eher harten Flugstiles kann ein wenig mehr Reserve in der Bruchlast der Flugleinen angemessen sein.

Windbedingungen:
Die Windstärke an sich spielt beim Powerkiten eine eher untergeordnete Rolle bei der Leinenwahl. Der Pilot wird die Drachengöße in Abhängigkeit vom vorherrschenden Wind in der Regel so wählen daß eine gewünschte Zugkraft erreicht wird. Unter diesen Voraussetzungen und bei Berücksichtigung der unter Pilotengewicht aufgeführten Zusammenhänge ist die Windstärke erst mal kein beeinflussender Faktor für die Leinenwahl.

Möchte man unterpowert einfach nur schön Fliegen, so können natürlich Leinen geringerer Bruchlast gewählt werden – auch um durch geringeren Luftwiderstand und geringeres Gewicht der Leinen bessere Flugeigenschaften bei Leichtwind zu erreichen. Das gilt vergleichbar auch für zugärmere Speed-Drachen.

Einen beachtenswerten Faktor stellt hingegen die Art des Windes dar. Am Meer hat man häufig sehr gleichmäßigen Wind. Hier sind daher kaum Belastungsspitzen aufgrund plötzlich auftretender Böen zu erwarten. Im Binnenland hingegen ist unsteter und ruppiger Wind mit enormen und sehr plötzlich auftretenden Spitzengeschwindigkeiten häufig anzutreffen. Solche Windböen bewirken eine oftmals unerwartet auftretende Zunahme der Zugkraft des Drachens. Instinktiv wird der Pilot dem Zug entgegenwirken. Dadurch kann eine impulsartig auftretende Spitzenbelastung der Leine entstehen. Unter solchen Rahmenbedingungen kann es sinnvoll sein die Leinenstärke ein wenig höher zu dimensionieren um einem möglichen Leinenriß entgegenzuwirken.

Entgegen der häufig vertretenen Annahme ist dieser Effekt jedoch bei stärkeren Winden, bei denen in der Regel mit deutlich kleineren Drache geflogen wird, sehr viel ausgeprägter als bei geringeren Winden. Die Beachtung eines entsprechenden Puffers bei der Bemessung der Leinenstärke ist also bei starkem Grundwind und beim Fliegen mit kleineren Powerdrachen eher zu berücksichtigen als beim Fliegen bei wenig Wind mit großen Drachen.

Rahmenbedingungen:
Alle oben aufgeführten und in Zusammenhang gesetzten Rahmenbedingungen gelten in der Annahme, daß aus der Hand geflogen wird und der Pilot nicht verankert oder fixiert ist. Letzteres wird zwar hin und wieder in Szene gesetzt, ist aber aus Sicherheitsgründen in keinem Fall zu empfehlen. Aus den gleichen Gründen ist ein Springen mit Hilfe des Drachens ebenfalls nicht empfehlenswert und nur absoluten Profis zu überlassen. Hierbei kann dann auch eine höhere Dimensionierung der Flugleinen erforderlich werden.

Für den normalen Flugbetrieb im Alltag eines Powerkiters haben sich in unserer Praxis Leinenstärken von 90 bis 140 daN für Piloten von 70 bis 100 kg als völlig ausreichend erwiesen.

Zustand der Leinen:
Schon kleine Beschädigungen der Flugleine können ihre maximale Belastbarkeit deutlich verringern. Daher sollte man den Zustand der Leinen vor jedem Flug prüfen. Bereits beim Abwickeln der Leinen vom Winder kann man diese durch die Finger laufen lassen. Beschädigungen und Unregelmäßigkeiten lassen sich so sehr schnell ertasten und aufspüren. Eine beschädigte Leine sollte keinesfalls noch verwendet werden. Wenn die Beschädigung nahe einem Ende ist, kann die Leine eventuell durch Kürzen über die Schadstelle hinaus noch weiter verwendet werden. Andernfalls sollte sie unbedingt ersetzt werden.

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